KULTURLOTSINNEN führen wieder durch ihre Lebenswelten
Pressemitteilung
Montag, 12. Oktober 2009
Das Projekt KULTURLOTSINNEN ist eine Weiterbildung für Frauen mit Migrationshintergrund, die vom BFI Linz gemeinsam mit Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas entwickelt und in Kooperation mit dem AMS Linz/OÖ umgesetzt wurde.
Die Schwerpunkte der Ausbildung waren neben Schlüsselkompetenzen und Biografie- und Ressourcenarbeit auch Projektmanagement, Kulturtheorie, interkulturelle Kommunikation und Kompetenz, Rhetorik, Präsentation uvm. Außerdem erstellten die Teilnehmerinnen Kompetenzbilanzen und erhielten begleitendes Coaching zur Stärkung der Persönlichkeit. Während der Ausbildung erarbeiteten die Frauen Rundgänge durch ihre subjektive Lebenswelt als Migrantinnen, die sie im Mai 2009 im Rahmen des Programms von Linz09 rund um das Gebiet Wienerstraße der Öffentlichkeit anboten.
Die Kulturlotsinnen waren dabei nicht Stadtführerinnen im klassischen Sinne, sondern Begleiterinnen durch ihre jeweils eigene Lebenswelt. Verbunden mit ihrer Realität stellten sie den Stadtteil rund um die Wienerstraße vor und ermöglichten somit den TeilnehmerInnen, als Gäste in ihre individuelle Welt einzutauchen, in direkten Kontakt und Dialog mit ihnen zu treten, persönliche Sichtweisen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen zu erfahren und einen multikulturellen Linzer Stadtteil kennenzulernen. Außerdem informierten die Kulturlotsinnen über das Programm der Kulturhauptstadt Europas.
Die Kulturlotsinnen kommen ursprünglich aus neun verschiedenen Ländern (Iran, Marokko, Brasilien, Bosnien, Türkei, Polen, Rumänien, Weißrussland, Russland). In der Ausbildung erarbeiteten sie in jeweils interkulturellen Teams insgesamt sechs verschiedene Rundgänge. Die Themen und Stationen der Rundgänge wurden stets frei von den Kulturlotsinnen gewählt. Die Themen waren: Respekt & Arbeit, Miteinander & Nebeneinander, Kultur & Kompetenz, Leben & Tod, Vergangenheit & Zukunft, Allein & Vernetzt.
Die Inhalte der Projekts KULTURLOTSINNEN sind am Puls der Zeit und werden gesellschaftlich relevanten Fragstellungen, Aufgaben und Herausforderungen einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft in Österreich gerecht. Die KULTURLOTSINNEN verstehen sich als gesellschaftspolitisches Statement. Durch die Arbeit mit der eigenen Biografie und durch ressourcen- und prozessorientierte Ansätze wird Migration nicht nur als Defizit, sondern vielmehr als Qualifikation erkannt und der Gesellschaft zur Verfügung gestellt. Dadurch verändern sich Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der KULTURLOTSINNEN selbst, eine Stärkung der Persönlichkeit findet statt.
Die insgesamt 30 Rundgänge sind auf großes Interesse gestoßen und haben eine breite Öffentlichkeitswirksamkeit erzielt. Zur großen Freude der KULTURLOTSINNEN und des Projektteams waren die Rundgänge fast zur Gänze ausgebucht. Insgesamt nahmen 549 Interessierte an den Rundgängen teil, das bedeutet im Schnitt 18,3 BesucherInnen pro Rundgang. Interessant ist auch, dass sich mehr Frauen (insg. rund 71%) als Männer (rund 29%) durch den Stadtteil rund um die Wienerstraße lotsen ließen.
Der Auftakt zur Wiederaufnahme der Rundgänge der KULTURLOTSINNEN erfolgte am 30. September 2009 im Rahmen einer Vernissage mit Bildern zum Projekt im BFI Linz. Dort sind bis 12. Oktober 2009 Portraitfotos der KULTURLOTSINNEN von der Künstlerin Michaela Ortner sowie Gemälde der persischen Künstlerin und Kulturlotsin Azar Dadgostar zu sehen. Die Portraitfotos wandern ab 18. Oktober 2009 ins „Haus der Geschichten“ am Pfarrplatz und sind dort bis Ende 2009 zu besichtigen.
Die KULTURLOTSINNEN organisieren sich seit Sommer 2009 nachhaltig in einem „Verein für Interkulturelle Begegnung und Kulturvermittlung" und organisieren als solcher die Wiederaufnahme der Rundgänge gemeinsam mit dem BFI, betreuen die BIBLIOTHEK DER 100 SPRACHEN und haben großes Interesse an Folgeprojekten auf Basis interkultureller Begegnung.
Kontakt: Interkulturelle_Begegnung_Linz@gmx.at
Wiederaufnahme der Rundgänge
Aufgrund der großen Nachfrage werden die Rundgänge zwischen 17. Oktober und 8. November 2009 noch einmal aufgenommen. Insgesamt 20 Führungen werden kostenlos angeboten, dieses Mal auch speziell für Schulklassen an Vormittagen sowie an Wochenenden. Die Finanzierung erfolgt durch Linz09 und das BFI Linz.
Rundgänge für Einzelpersonen und Gruppen:
Leben & Tod
Bogdana Bologescu und Donata Bauer
Multikulturelles Leben und Zusammenleben im Stadtteil Linz Mitte sind Inhalt dieses Rundgangs. Wie sehen alteingesessene Geschäftstreibende die Entwicklung in der Wiener Straße? Im Mittelpunkt stehen kulturelle Freizeitaktivitäten und deren Verlinkung zu Menschen mit Migrationshintergrund. Wie wichtig sind eigene Kulturvereine? Spielen MigrantInnen eine Rolle in österreichischen Hochkultureinrichtungen? Gerade diverse Hochkulturangebote thematisieren in Stücken und Opern den Tod. So auch dieser Rundgang. Was erzählen Friedhöfe über die Geschichte der Menschen, was über den Stadtteil?
Samstag, 17. Oktober 2009, 15.00 Uhr
Sonntag, 18. Oktober 2009, 14.00 Uhr
Sonntag, 25. Oktober 2009, 14.00 Uhr
Samstag, 7. November 2009, 15.00 Uhr
Arbeit & Kultur
Nadjeschda Dollentz und Azar Dadgostar-Darani
Ist Multikulturalität eine Chance der Vielfalt? Wie steht es um die Offenheit der LinzerInnen? Wie ergeht es Frauen mit migrantischem Hintergrund bei der Suche nach Arbeit? Sind mitgebrachte und durch die Migration erworbene Kompetenzen wertgeschätzt? Wer bestimmt nach welchem Maßstab, was man kann? Wie funktioniert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie? Wie lebt man mit mehr als einer Kultur im Herzen? Das sind Fragen, die diese beiden Kulturlotsinnen verfolgen. Zudem geben sie Einblick in kulturbezogene Angebote im Stadtteil Linz Mitte und in das Leben und Schaffen einer Künstlerin.
Samstag, 24. Oktober, 14.00 Uhr
Sonntag, 25. Oktober, 15.00 Uhr
Samstag, 7. November 2009, 14.00 Uhr
Sonntag, 8. November 2009, 15.00 Uhr
Miteinander & Nebeneinander
Sabina Dadic und Alessandra Klimpel
In Linz Mitte leben viele verschiedene Nationen Tür an Tür, Seite an Seite. Die beiden Kulturlotsinnen dieses Rundgangs sehen im Leben in der Wiener Straße ein Biotop, im Sinne eines bunten, multikulturellen (Zusammen-)Lebens. In einem Biotop ist meist alles Leben miteinander verbunden. Ist das auch so in Linz? In diesem Sinne widmen sie sich dem nebeneinander bzw. miteinander Leben in Linz Mitte. Zudem wird punktuell ein Einblick in den persönlichen Lebensradius einer der Frauen, die in diesem Viertel lebt, gegeben. Es gilt, Gemeinsamkeiten zu entdecken, und statt über Unterschiede über Austausch und das Thema Miteinander nachzudenken.
Dienstag, 20. Oktober 2009, 10.00 Uhr
Donnerstag, 22. Oktober 2009, 10.00 Uhr
Samstag, 24. Oktober 2009, 15.00 Uhr
Allein & Vernetzt
Songül Kücükkaya und Lioubov Studener
In diesem Rundgang ist das Kernthema „Frau sein“. Frau zu sein in kulturellen Wert-Prägungen, in der die Frau die Familie und ihre Rolle als Mutter als zentralste Thematik sieht. Aber sind diese Werte wirklich anders? Hat nicht jede Mutter ähnliche Themen und Herausforderungen zu meistern? Zwei Linzerinnen migrantischen Hintergrunds geben Einblicke in ihren Start in Linz. Das alleinige Setzen der ersten Schritte in einem fremden Land. Und das Entdecken von Unterstützungsmöglichkeiten und Vernetzungsmöglichkeiten. Zudem gewähren sie auch Einsicht in ihre Kulturen, in Hinblick auf Alltag und Kulinarik.
Mittwoch, 21. Oktober 2009, 9.00 Uhr
Mittwoch, 28. Oktober 2009, 9.00 Uhr
Mittwoch, 4. Oktober 2009, 9.00 Uhr
Freitag, 6. November 2009, 9.00 Uhr
Teilnahme und Anmeldung
Die Rundgänge sind kostenlos, die TeilnehmerInnenzahl ist bei den Rundgängen allerdings begrenzt. Deswegen wird um Anmeldung gebeten: Telefonisch unter 0664 82 83 86 0 (montags bis freitags zwischen 13.00 und 18.00 Uhr, samstags 10.00 bis 13.00 Uhr), oder
persönlich im Linz09 Infocenter.
Fünf der zwanzig kostenlosen Termine sind noch nicht festgelegt und können von Gruppen unter der Telefonnummer 0664 82 83 86 0 gebucht werden. Weiters besteht die Möglichkeit für Gruppen, gegen Bezahlung über die 20 kostenlosen Termine hinaus Führungen der KULTURLOTSINNEN nach freier Terminvereinbarung (Tel: 0664 82 83 86 0) zu buchen.
Details zu den Startpunkten der Rundgänge werden bei der Anmeldung bekannt gegeben. Sollte der Treffpunkt das Linz09 Infocenter sein, werden die TeilnehmerInnen gebeten, für die gemeinsame Anreise in das Viertel ein Straßenbahnticket zu lösen.
Idee / Konzept: Berufsförderungsinstitut OÖ
Mitwirkende: Monika Pramreiter und Birgit Kaps (Konzeption und Leitung), Eva Gütlinger (Beratung), Erika Rockenschaub (Koordination), Ruth Karner (Training und Projektmanagement)
Weitere Informationen zum Projekt KULTURLOTSINNEN finden Sie unter:
www.linz09.at/kulturlotsinnen
www.bfi-ooe.at/projekte/kulturlotsinnen/
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Statements von BesucherInnen:
Die Haupttrainerin Mag. Ruth Karner hat einige Menschen, die an Rundgängen teilgenommen haben, direkt danach befragt. Hier ein paar Meinungen und Stimmungsbilder:
„Ich habe das ganz toll gefunden, dass wir in die Geschäfte reingegangen sind. Da wäre ich sonst nie hingegangen.“
„Ich fand spannend, was es in diesen Geschäften gibt. Es könnte schon sein, dass ich da noch mal hingehe. Sonst wäre ich da nie hineingegangen. Die schauen von außen nicht so aus, als ob ich da reingehen würde.“
„Wie unnötig das Thema sein könnte, das wir in Österreich mit den Ausländern haben, merkt man erst, wenn man sich kennenlernt. Daher finde ich diese Idee echt gut...“
„Ich bin Arzt, zu mir kommen viele Migranten. Darum hat es mich der Rundgang interessiert. In der Praxis hat man ja nie Zeit, so lange mit den Leuten zu reden. Die KULTURLOTSINNEN sind beeindruckende Frauen. Und die sind tatsächlich ohne Arbeit?“
„Ich wollte mir einfach Projekte von Linz09 anschauen. Die Idee, eine Stadt so kennen zu lernen, finde ich total spannend. So etwas sieht man als Tourist ja sonst nie. Gefallen hat mir die persönliche Note, das Schicksal einer Person. Der Ort hat für mich jetzt auch eine Geschichte, nicht nur Gebäude. (...) Warum wird das nicht weiter angeboten?“
„Ich bin aus Deutschland und ich lebe hier. Ich bin gezielt zum Arbeiten gekommen. Man sieht schon Unterschiede zwischen Migranten und Migranten. Wir waren da schon privilegiert.“
„Interessiert hat mich der Ausländeranteil hier, ich fahre oft durch, da sieht man einfach, dass es sehr viele sind. Mich hat interessiert, wie sie leben, ich lebe in Urfahr, ich komme hier sonst nie her. Wenn man mit den Leuten redet, ist das plötzlich völlig normal. Man ist also praktisch selber schuld, wenn man da Probleme hat. Ich würde es deswegen super finden, wenn das Projekt viel länger angeboten wird. Das ist wichtig, weil da gewisse Grenzen aufgelöst werden.“
„Man kann viel über das Thema Migration lesen. Aber die persönlichen Geschichten sind viel interessanter, da lernt man wirklich draus. Mir hat das außerordentlich gut gefallen! Das sollten Sie mit Schulen machen!“
„Ich bin Lehrerin in einer Schule mit vom kulturellen Hintergrund bunt gemischten Kindern, daher hat mich das Projekt besonders interessiert. Ich bin jetzt unglaublich berührt, weil man einen viel größeren Horizont bekommt, weil ein anderer Zugang kommt, den man gar nicht so gesehen hat. Ich wünsche mir für Migranten und Österreicher, dass sie mehr „zusammen“ machen. Genau dabei kann das Projekt helfen. Ich finde es sehr toll.“
„Ich habe erst im Linz09 Infocenter von den KULTURLOTSINNEN gehört und ich fand diese Idee gleich sehr ansprechend, da ich persönlich finde, jeder kann von jedem lernen. Vieles ist aber leider ein Politikum bei dem Thema, da hilft es nicht, wenn wir hier diskutieren. Die persönliche Sicht war allerdings sehr interessant.“