Ruhepol Centralkino: Stille in der Stadt
Pressekonferenz
Donnerstag, 27. November 2008
10.30 Uhr, Ruhepol Centralkino, Landstr. 36, 4020 Linz
Dauer: Samstag, 29. November 2008 bis 21. November 2009 (No Music Day)
Öffnungszeiten: täglich Dienstag bis Sonntag, 12.00 – 21.00 Uhr
Am ersten Einkaufsamstag im Advent 2008, dem 29. November, eröffnet Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas zusammen mit der SPÖ Oberösterreich und der Kunstuniversität Linz/die architektur ab 12:00h Uhr den Ruhepol Centralkino an Linz’ erster Adresse in der Landstraße 36. Foyer und Großer Saal des einstigen Lichtspieltempels wurden von den ArchitektInnen der Kunstuniversität zurückhaltend umgestaltet, zu hören gibt es – nichts. Und genau das ist es, was der Ruhepol Centralkino während des Kulturhauptstadtjahrs bis Ende November 2009 bieten soll: Stille mitten in der Stadt.
„Nichts ist gefährlicher für unser Gehör als die permanente Belastung durch Alltagsgeräusche, Lärm und Beschallung“, erläutert Peter Androsch – bei Linz09 für Musik und das umfassende Vorhaben Hörstadt zuständig – den Hintergrund für die Verwandlung des Kinos in einen Ort des Hörens. „Da wir uns im Rahmen unserer Kampagne ‚Beschallungsfrei’ gegen Zwangsbeschallung und für die Erhaltung und Vermehrung von Ruhezonen engagieren, war es naheliegend, selbst ein Zeichen zu setzen und mit gutem Beispiel voranzugehen.“
Die Unterbringung des Ruhepols an einem derart attraktiven Standort und über einen Zeitraum von 12 Monaten verdankt sich der Bereitschaft der SPÖ Oberösterreich, vorerst auf eine profitable Nutzung zu verzichten und das Experiment eines akustischen Kontrapunkts mitzutragen: „Dieses Projekt ist der aktive Beitrag der SPÖ Oberösterreich, um das wichtigste Kunst- und Kulturereignis im kommenden Jahr – die Europäische Kulturhauptstadt 2009 – zu unterstützen. Deshalb stellen wir die Räumlichkeiten des Centralkinos gerne für das Projekt zur Verfügung“, stellt SPÖ Landesgeschäftsführer Mag. Christian Denkmaier zur Präsentation des Projektes fest. Mit der einzigartigen Lage direkt im Zentrum der Stadt werde garantiert, dass das Projekt „Ruhepol“ mit der Kampagne gegen Zwangsbeschallung für viele Menschen erlebbar gemacht wird. Nachdem die Neuausrichtung des ehemaligen Centralkinos schon länger in Diskussion war, ist das Kooperationsprojekt „Ruhepol“ eine ideale Gelegenheit, um der kulturellen Tradition der Räumlichkeiten Rechnung zu tragen und sie fortzusetzen.
Gemeinsam sind Denkmaier und Androsch zunächst unabhängig voneinander an Kunstuni-Architekturprofessor Roland Gnaiger im Frühling 2008 herangetreten, der die Idee eines Ruheraums in der Landstraße 36 gleich zum Sommersemesterprojekt für die Architekturstudierenden machte.
Aus verschiedenen Projektideen und Modellen der Studierenden entstand schließlich der finale Entwurf von Richard Steger, Tobias Hagleitner und Gunar Wilhelm, der über den Sommer und Herbst mit tatkräftiger Unterstützung der SPÖ als Bauherrin umgesetzt wurde.
In den Foyerbereichen wurde die Einrichtung des Kinobetriebs aus den 1980er Jahren entfernt. Die darunter liegenden Strukturen – zum Teil Originalausstattung aus dem Errichtungsjahr 1909 – wurden freigelegt und durchgängig mit schilfgrüner Farbe überzogen. Als Raum im Raum zieht sich nun ein heller Vorhangkokon durch diese farblich veredelte Rohsubstanz. Hier kann an kleinen Tischen Tee getrunken, bei Gespräch oder Lektüre verweilt werden.
Der Ruheraum selbst befindet sich im ehemaligen Kinosaal. Dessen seitliche Ausgänge zum Foyer wurden verschlossen. Stattdessen wird der Logengang des ursprünglichen Kinobaus reaktiviert und als Zugangsebene nutzbar gemacht. Die beiden Rundräume in den rückseitigen Ecken des Gebäudes wurden mit Noppenschaum in warmer Farbe eingekleidet und hell beleuchtet. So werden sie zu anziehenden Übergangsgelenken zwischen Foyer und Ruhesaal und dienen gleichzeitig als akustische Puffer.
Im Innern des Saals ist Holz das sinnlich beruhigende Gestaltungsmittel. Ein lockeres Gewebe aus Sperrholzplatten hängt sich vor die Wände des Bestands. Hoch oben lässt ein Fensterkasten einen gebündelten Strahl Tageslicht einströmen. Mit einem Höhenunterschied von knapp einem Meter zur Logenebene wird der Boden zur Landschaft aus Holz mit Geländestufen und geböschten Niveausprüngen, in denen Anhäufungen von Sitzsäcken zum Sitzen, Liegen und in den Raum Lauschen einladen.
Dem Ruhepol Centralkino liegt eine Idee des Wiener Stadtforschers und Akustikers Peter Payer zugrunde, der sich wiederum auf einen historischen Vorläufer bezieht: „ Die Idee entstand durch ein wissenschaftliches Forschungsprojekt, an dem ich seit einigen Jahren arbeite, das sich mit den Veränderungen der urbanen Lautsphäre in Europa seit Mitte des 19. Jahrhunderts beschäftigt. Dabei zeigt sich, dass es bestimmte Zyklen gibt, meist entsprechend technisch-ökonmischen Modernisierungsschüben, in denen der Diskurs über den Lärm besonders intensiv geführt wird. Im Zuge meiner Recherchen stieß ich auf das historische Vorbild des heutigen Ruheortes, die ‚öffentlichen Ruhehallen’ des deutschen Arzes Robert Sommer.“ „Dieser arbeitete“, so Payer weiter, „als einer der ersten an der Realisierung eines akustischen Freiraumes, der möglichst allen Bevölkerungsschichten zur Verfügung stehen sollte.“
Dem historischen Vorbild treu steht der Ruhepol Centralkino allen täglich von Dienstag bis Sonntag in der Zeit von 12.00 bis 21.00 Uhr offen – zu einem symbolischen Eintrittspreis. „Wer den Ruhepol aufsucht“, sagt Peter Androsch, „kann sich eine Auszeit vom Alltag und vom Kulturhauptstadtbetrieb nehmen und die essenzielle akustische Erfahrung der Stille auch einmal in einem nicht-religiösen Zusammenhang machen.“
In einem explizit religiösen Zusammenhang steht hingegen jener Ruhepol, den Linz09 im Rahmen von Hörstadt im kommenden Frühling eröffnen wird: Der Ruhepol Mariendom ist vom 21. Mai bis zum 26. Oktober 2009 in der Turmhalle des Mariendoms zugänglich.
Mehr Informationen zu Hörstadt und Fotos in Druckqualität unter www.hoerstadt.at
Vorprojekt // Studierende Kunstuniversität Linz/die Architektur – Roland Gnaiger, Lotte Schreiber, Richard Steger
Projektorganisation // Klemens Pilsl
Entwurf und Ausführung // Richard Steger, Tobias Hagleitner, Gunar Wilhelm
Bauleitung // Stiftung L36 – Georg Oberhaidinger
Konzeption Hörstadt // Peter Androsch
Ruhepol ist ein Projekt von Hörstadt und Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas