TIEFENRAUSCH MONTAGSVORLESUNG mit Brigitte Felderer
„Laß uns zur blinden Welt hinuntersteigen.“Die imaginäre Topographie der Unterwelt, Mo, 30.6.2008, 20.00 Uhr, OK
Raum 1 LÄUTERUNG
Pipilotti Rist: Selbstlos im Lavabad “Selfless In The Bath Of Lava”
1994
1 LCD Monitor im Boden eingelassen, 1 Abspielgerät, Sound System
Regie, Schnitt, Kamera, Cast: Pipilotti Rist; Ton: Peter Bräker
Courtesy: Die Künstlerin und Hauser & Wirth Zürich London
Man sieht auf den ersten Blick noch nichts, hört aber eine weibliche Stimme, die laut ruft: „I am a worm and you, you are a flower. You would have done everything better. Excuse me. Help me.“ Der im Boden versenkte Bildschirm ist schnell gefunden, zu sehen ist die Künstlerin Pipilotti Rist. Sie streckt dem Publikum verzweifelt ihre Arme entgegen, ganz wie auf alten Darstellungen der Sünder im Fegefeuer. Die nach oben gerichteten Arme dieser Bilder bedeuteten, daß – nach erfolgter Läuterung – noch Aussicht aufs Paradies besteht.
Raum 2 HÖLLENBILDER:
Unterwelten treten uns längst nicht mehr als christliche Höllen entgegen. Mitten in diesem Raum des „Museums“ findet sich eine lange schmale Vitrine, die historische Krampuskarten zeigt. Die Teufel, die uns hier so frech und lasziv anspringen, personifizieren zugleich ein Panoptikum unausgesprochener Wünsche, Fantasien, Ängste und Schuldgefühle, die direkt aus der Hölle zu kommen scheinen. Die Hölle ist mit der Aufklärung nicht mehr nur eine christliche Schreckensfantasie, sondern hat sich auch in den mythologischen Innenwelten des eines oder anderen Rationalisten festgesetzt.
Raum 3 ABSTIEG: Wunderstufen und Eisenblüten:
Die Bergbaukunde, das Verständnis der Erdgeschichte, neue Methoden des Abbaus und der Verarbeitung von Erzen sind Metapher wie Inhalt eines Prozesses der Aufklärung. Doch neben den rationalen Einstellungen zur Wirtschaftlichkeit und zu einer vernünftigen Organisation des Bergbaus und der Erzgewinnung überlebten magische und mythologische Formen des Umgangs mit der Natur. Die ausgestellte „Wunderstufe“ aus dem steirischen Erzberg, ihre verschiedenen Darstellungen, die Legende um ihre Auffindung 1669, ihre gleichsam magische Bedeutung für die Geschichte des Eisenerzer Abbaus, belegen diese Ambivalenz.
Raum 4 Plan the Impossible:
Das Bergwerk läßt sich in der Symbolgeschichte menschlicher Machtergreifung als „umgekehrten Turm von Babel“ beschreiben. Ein solches Bauwerk der Weltbeherrschung plante der holländische Architekt und Modernist Henricus Theodorus Wijdefeld, als er 1941 einen unterirdischen Turm entwarf, der bis zum Erdmittelpunkt reichen sollte und um den sich alle wichtigen Wissenschaftler versammeln würden, um das Erdinnere zu erforschen. Der Künstler Florian Bettel zeigt in seinem Projekt zu einem unterirdischen Bestattungssystem aus dem Jahre 1874, daß auch im technikfaszinierten 19. Jahrhundert modernste Technologie dazu eingesetzt wird, die alte Ordnung zwischen Jenseitsraum und irdischem Lebensraum zu erhalten.
Raum 5 AUSSTIEG Der Schacht von Babel:
Der Künstler gräbt in seinem Atelier ein Bergwerk in den Erdboden. Das Material, das er dabei „abbaut“ füllt das Atelier, und, um sich im Atelier notwendigen Raum zu schaffen, schließt der Künstler den Schacht wieder. Die herausgegrabene Erde entspricht dem Raumvolumen des Ateliers. Der scheinbare Fluchttunnel, an dem der Künstler unter sorgfältigem Ausschluß der Öffentlichkeit gegraben hat, füllt sich. Es gibt kein Entkommen aus dem Atelier. Der Vorgang des In-die-Tiefe-Grabens ist eine durchgängige Metapher für die Suche nach Erkenntnis in der europäischen Geistesgeschichte – zum einen. Zum anderen steht der Rückzug in das Erdinnere für eine Gegenwelt, eine Eigengesetzlichkeit, die sich über anerkannte Realitätsbedingungen hinwegsetzt.
Hans Schabus
Astronaut
2002
Video auf DVD, 7min 32sec
Der Künstler/Engholm Engelhorn Galerie
Der Psychonaut expandiert und gräbt sich durch den Untergrund. Die lichtlose Tiefe ist entrisch, unheimlich und abwegig, verschließt und widersetzt sich dem Individuum, das sich mit jedem Spatenstich relativiert. Die erdige Tiefe als utopischer Raum scheint zugleich ein Paradox, ist ihr doch nicht mit der Vorstellung von Schwerelosigkeit und Unendlichkeit beizukommen. Die Unterwelt liefert vielmehr ein Erklärungsmodell für die Schichtungen der Psyche, die kennenzulernen und zu betreten jahrelange Arbeit am „Material-Widerstand“ des Bewußtseins erfordert.
Gang:
Lucifer Rising
Regie: Kenneth Anger, Musik: Bobby BeauSoleil und das Freedom Orchestra, Gefängnis Tracy, Darsteller: Miriam Gabril, Donald Cammell, Haydn Couts, Kenneth Anger, Sir Francis Rose, Marianne Faithfull, Leslie Huggins
1981
16 mm
28 Minuten
Stiegenhaus:
Orphée
R: Jean Cocteau, D: Jean Marais
F 1950
(Ausschnitt: Orpheus gelangt in die Unterwelt)
Brigitte Felderer
Studium der Angewandten Sprachwissenschaften, Romanistik und Kommunikationswissenschaften in Wien und Perugia; lehrt an der Universität für angewandte Kunst Wien
Ausstellungsprojekte (Auswahl):
Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert Kunsthalle Wien, Wiener Festwochen, 1996
Rudi Gernreich. Fashion will go out of fashion Künstlerhaus Graz, steirischer herbst, 2000 und Institute of Contemporary Art, Philadelphia, 2001
Alles Schmuck Museum für Gestaltung Zürich, 2000
Phonorama. Eine Kulturgeschichte zur Stimme als Medium ZKM Karlsruhe, 2004/05
Thinking without brain, speaking without lips... Die Automaten und Maschinen des Wolfgang von Kempelen Humboldt Universität Berlin 2005
Rare Künste. Zauberkunst in Zauberbüchern Wienbibliothek im Rathaus, 2006
Sound of Art Museum der Moderne Salzburg, 2008 (in Vorbereitung)
Neuproduktion - Wandarbeiten
Peter Hauenschild / Georg Ritter
Gold, 2000
Zeichnung/Drawing
Hunderte Männer tragen händisch einen ganzen Berg ab und landen schlussendlich in einer tiefen Grube – geschürft wird nach Gold – ein Rausch in der Tiefe. Claims werden abgesteckt, verkauft und in rechteckigen Flächen abgegraben. Der dabei entstandene Aushub wird in Säcke gefüllt und von Trägern über schmale Stege und Leitern aus der Grube geschafft. An den Waschstellen wird das Erdreich gewaschen und das edle Material ausgesiebt. Heftige Regenfälle setzen das Loch immer wieder unter Wasser, Pumpen und Schläuche liegen auf der schweren nassen Erde. In der Tiefe suchen Menschen von Schlamm bedeckt und verkrustet nach Glück und Existenz – ein Schauspiel der Begierde.
Peter Hauenschild: geb 1958 in Linz, 1982–1987 Studium Visuelle Gestaltung bei Laurids Ortner, an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Linz, 1988–2004 Mitarbeiter Stadtwerkstatt Linz. Seit 2005 Lehrauftrag an der Kunstuniversität Linz(Grafikdesign und Fotografie), Schwerpunkte: Zeichnung, Kunst im öffentlichem Raum, Computeranimation.
Georg Ritter: geb 1956 in Linz 1977–1981 Studium Bühnenbild am Mozarteum, Salzburg, anschließend Visuelle Gestaltung an der HfG Linz, 1981–2004 Kunst und Kulturarbeit in der Stadtwerkstatt Linz, seit 1994 Mitaufbau von Radio FRO und Radio Freistadt, 1999 Gründung des offenen Forums der freien Szene Linz - Kartell, seit 1999 Lehrauftrag an der Kunstuniversität Linz Malerei und Grafik.
Peter Hauenschild und Georg Ritter leben und arbeiten in Linz, seit 1989 gemeinsames Zeichnen.
Peter Fischli/David Weiss
o.T. (Kanalvideo), 1992
Video
Courtesy: Galerie Sprüth/Maegers, Köln
Das Schweizer Künstlerduo Fischli & Weiss ist Meister darin, in den Banalitäten des Alltags unseren Sehnsüchten und Projektionen nachzuspüren. Für ihr „Kanalvideo“ greifen sie auf Material des Kanalüberwachungsdienstes der Stadt Zürich zurück, das von einer Kamera im unterirdischen Rohrsystem aufgenommen wurde. Die schnelle Abfolge der verschiedenen Farben und Helligkeiten lässt einen hypnotischen Sog entstehen, die die Tunnelbilder in eine malerische Unterwelt verwandeln.
Peter Fischli, geb 1952 in Zürich, lebt in Zürich
David Weiss, geb 1946 in Zürich, lebt in Zürich
Die Künstler arbeiten seit 1979 zusammen.
Franz Anton Obojes
Innere Kerker und äußere Panzerungen, 2008
Wandmalerei/ Mural painting
Ausgehend von einem architektonischen Rahmen, der sich auf Piranesis Kerkerzeichnungen bezieht, führt die Wandmalerei von Franz Anton Obojes im Stiegenabgang des OK in die Tiefe. Die Verwerfungen unserer Seelenwelt sind ebenso Thema wie Orte und Elemente, die für Untergrund und Unterwelt stehen. Entsprechend Obojes Ansatz, aus seinem umfangreichen Archiv, unterschiedliche Bildvorlagen collagenartig zu verbinden, fügt sich das Behandlungszimmer des Psychoanalytikers, der Bunker und ein Bombeneinschlag mit Bildwelten des Kinos zu einer Repräsentation von Unterwelt und unserer eigenen Abgründe zusammen.
geb 1961 in Linz, lebt und arbeitet in Linz
Zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen und Projekte
Christoph Draeger / Heidrun Holzfeind
Tales from the Underworld, 2008
zweiteilige Videoinstallation
In einem kinoartigen Display erwartet uns die Found-Footage-Arbeit zu Unterwelten im Hollywood-Film von Christoph Draeger und Heidrun Holzfeind. Anhand von Szenen aus ca. 200 Filmen – von Murnaus Nosferatu über Barbarella bis hin zu South Park – wird die Unterwelt im (bewusstseins-) erweiterten Sinn untersucht. Ein verschlungener Horrortrip durch Höhlen, Abgründe, endlose Gänge ins Innerste des Unterbewusstseins, wo urzeitliche Ängste brodeln. Eine psychedelischer Albtraum durch die Filmgeschichte, ein Rollercoaster Ride, wo es stetig immer weiter abwärts geht, Endziel: die Hölle.
Heidrun Holzfeind studierte an der Academy of Fine Arts in Vienna und der Cooper Union in New York. Sie lebt und arbeitet in New York.
Christoph Draeger , geb 1965 geboren in Zürich, studierte an der School of Visual Arts, Luzern (1986-90) und École Nat. Supérieur des Arts Visuels de la Cambre, Brussels (1990/1).
www.christophdraeger.com, www.heidrunholzfeind.com; www.exposed.at; alien.thing.net
alien productions
Martin Breindl, Norbert Math, Andrea Sodomka
Tiefenklang I es ist viel zutage gekommen, 2008
Elektromagnetische Klanginstallation
Künstlerische Mitarbeit: Daniel Lercher
Interviews: Isabelle Muhr
Research: Georg Nussbaumer
Das Labyrinth der Linzer Limoni- und Aktienkeller und die Erzählung darüber sind Ausgangspunkt der Arbeit von alien productions. Menschen mit einer Beziehung zu dieser Unterwelt als konkreten Ort führen über ihn Rede. Ihre Stimmen mischen sich an gewissen Punkten in der verwirrenden Anordnung der Installation in den Äther. Mit dem Radio als Empfänger und Orientierung, haben die Erzählfragmente eine indifferente Präsenz auf dem Weg durch den schräggestellten Tunnel und den strahlend weißen Raum mit seinen ungewöhnlichen Perspektiven. Erst am Ende, an der Rohrsprechanlage, sind die Stimmen zu identifizieren.
Martin Breindl, geb 1963 Wien, Norbert Math, geb 1962 Bozen, Andrea Sodomka, geb 1961 Wien, leben und arbeiten in Wien.
alien productions wurde 1997 in Wien als Künstlernetzwerk für Arbeiten in Theorie und Praxis Neuer Technologien und Medien gegründet. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst Medienkunst, bildende Kunst, elektronische Musik, Netzkunst, Radiokunst, Sound Art, interaktive Kunst. Sie alle arbeiten im diesen Bereichen seit 1985 - sowohl einzeln als auch zusammen und oft in Kooperation mit anderen KünstlerInnen, TechnikerInnen, TheoretikerInnen und WissenschafterInnen. Sie realisierten ihre Projekte bei zahlreichen Festivals, Symposien, Ausstellungen und Konzerten im In- und Ausland. alien.mur.at