Pressegespräch 28. März 20007
Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas: Konzeption Musik
mit Martin Heller, Intendant Linz09 und Peter Androsch, Konzeption Musik Linz09
Mittwoch, 28. März 2007, 10.00 Uhr
Anton Bruckner Privatuniversität / Göllerichsaal, Wildbergstr. 18
Der Titel Kulturhauptstadt Europas dient als Richtschnur: Kultur sehen wir als die Art, wie Menschen miteinander und mit der Natur umgehen – wie sie also ihre Lebensbedingungen gestalten.
Ein Raum, in dem sich unsere Lebensbedingungen unvermittelt konkretisieren, ist der akustische Raum. Alles, was hörbar ist, bildet den akustischen Raum. Er ist allumfassend, genauso öffentlich wie privat, veröffentlicht wie intim.
Für den akustischen Raum gibt es noch kaum gesellschaftlich anerkannte Regeln, und wir beobachten derzeit so etwas wie den Wilden Westen des Hörens, in dem akustische Claims abgesteckt und mit technischen Mitteln neue Territorien besetzt werden.
Der akustische Raum muss bewusst gemacht und einer Raumordnung unterworfen werden. Die Kultur des akustischen Raums muss einer demokratischen Gesellschaft würdig sein.
In diesem Sinne verfolgt der Schwerpunkt Musik von Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas drei Ziele: Selbstbestimmung des Menschen auch im akustischen Raum, Sensibilisierung als höherer Grad an Bewusstheit der (akustischen) Sinneswahrnehmung und Konzentration, die in einem radikalen Zugang zu Themen und Umsetzungen greifbar wird.
Die programmatischen Prinzipien lauten: Unverwechselbarkeit, Bekenntnis zu Neuem, Hörbarmachung des kreativen Potenzials in und aus Linz und Oberösterreich sowie Respekt vor KünstlerInnen, Gästen, Vortragenden und Publikum.
Die Projekte – Eine Topografie des Hörens
Der Schwerpunkt Musik bedient sich eines inhaltlichen Instrumentariums, das eine klare Positionierung, größtmögliche organisatorische Flexibilität und Abwechslungsreichtum schafft.
Die Musikprojekte docken teils an bestehende Strukturen – Festivals, Konzertreihen, Kulturhäuser – an, eröffnen Spiel-Flächen für intensive Auseinandersetzungen mit einzelnen Themen, formulieren grundsätzliche künstlerische und politische Stellungnahmen oder setzen sich als Tourneen, Kampagnen und temporäre Eingriffe in Bewegung.
Kampagne zum akustischen Raum
Wir sind zur Lärmgesellschaft geworden. Langsam und stetig ist es in unserer so stark von Bildern und visuellen Reizen dominierten Umwelt laut geworden. Der Artenreichtum ortsspezifischer Klänge, Stimmen und Geräusche ist dem überall gleichen monotonen Grundrauschen des Verkehrslärms gewichen. Der öffentliche akustische Raum ist ein Schlachtfeld, auf dem verschiedenste private und privatwirtschaftliche Interessen verfolgt werden.
Längst stecken Unternehmen via Audio Branding ihre Claims im öffentlichen Raum auch akustisch ab, und schon lange produzieren die uns umgebenden Gebrauchsgegenstände absichtsvoll designte Betriebsgeräusche. Gut ein Drittel des Umsatzes der Musikindustrie entfällt auf das Geschäft mit den Klingeltönen für die Mobiltelefone, durch die das private Gespräch im öffentlichen Raum per Abwesenheit des Gesprächspartners den Anschein des Monologs bekommen hat.
In den mit mehr oder weniger unauffälligen Klangtapeten ausgekleideten Einkaufszentren, Shops, Restaurants und Wartezimmern steuern auf Tageszeit und Publikum abgestimmte Musiken den Emotionshaushalt der Anwesenden. Im Auto, am Arbeitsplatz, in den Büros der Dienstleistungsgesellschaft hat das Formatradio mit seinem totalitären Musik-Nachrichten-Werbeblockmix die Schallhoheit erobert.
Der iPod als potenterer Nachfolger des Walkman gestattet, sich im Klanguniversum eigener Wahl abgeschottet in der öffentlichen Sphäre zu bewegen.
Ruhe und Stille sind ein teuer erkaufter Mehrwert von Immobilien, Urlauben und Erlebnisangeboten geworden. Zu den zwischen reich und arm verlaufenden Grenzen zählt auch eine Schallmauer. Wer arm ist, lebt im Lärm.
Die akustische Umweltbelastung ist das vielleicht letzte große und unerkannte Umweltproblem – so allgegenwärtig, dass es nicht einmal Umweltschutzorganisationen wirklich bewusst ist.
Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas arbeitet an einer Kampagne
- für einen demokratischen und menschenverträglichen öffentlichen akustischen Raum
- für das (Menschen)Recht auf akustische Selbstbestimmung
- für ein kritisches akustisches Bewusstsein
- gegen Zwangsbeschallung
- gegen Missbrauch, Zerstörung und Verarmung der akustischen Sphäre.
ENTSTEHENDE PROJEKTE
(Eine Auswahl)
Parade
Der öffentliche Raum in Linz war immer schon Bühne für unterschiedlichste Musikveranstaltungen und zugleich Schauplatz des Kampfs um kulturelle Hegemonie – vom Nazi-Spielmannszug bis zum Maiaufmarsch. In Zeiten der kommerziellen Zwangsbeschallung und des gesellschaftlich suggerierten Intimitätskults geht es um persönliche und gemeinschaftliche Hörerfahrungen im Klangraum Stadt, die der öffentlichen Sphäre etwas von ihrer Würde und Bedeutung zurückgeben.
Das gewählte Szenario ist eine Parade der gehenden Musik – mit großer Tonkunst aus allen Himmelsrichtungen, aus der Mitte und von den Rändern Europas und darüber hinaus – die sich mehrdimensional an der Topografie der Stadt orientiert und sich deshalb nicht nur auf das Zentrum, sondern unter anderem auf den Hafen und auf den Pöstlingberg als einen besonderen Kulminationspunkt bezieht.
Die musikalische Bandbreite soll (ohne die zeitweilig fetischisierte technologische Verstärkung) von verschiedenen Blasorchestern – vom Antilopenhorn über den Dudelsack bis zur Blechmusik – hin zum mehrstimmigen Chorgesang reichen.
Die kreative Auseinandersetzung mit der Vielfalt des Anderen steht für eine der großen Kulturleistungen Europas, die wesentlich durch Grenzüberschreitung und Migration zustande gekommen ist.
Das (Mit)Gehen durch die Stadt wiederum macht deutlicher bewusst, wie sehr der öffentliche Raum durch seine Reduktion auf motorisierte Fortbewegung an unmittelbarer Erfahrungsqualität eingebüßt hat.
Ein Prototyp dieser Musik- und Hörerfahrung ist die Tonkunst der in Zimbabwe ansässigen Tonga, Ngoma Buntibe, die im spirituellen und sozialen Geschehen eines afrikanischen Dorfes wurzelt und beim Festival der Regionen 1997 als Expedition über das Tote Gebirge Furore und Geschichte gemacht hat.
Keith Goddard und Peter Kuthan, die Konzeptionisten von Parade, setzen sich seit über zehn Jahren mit der Musik der Tonga auseinander und haben bereits zahlreiche KünstlerInnen für den Kulturaustausch zwischen Österreich und Zimbabwe gewinnen können.
Circus
Der Circus ist Programm und Schauplatz in einem. Immer aktuell, beweglich, offen.
Und: Der Circus hat keine Bühne. Er ist Bühne.
Alle sind Teil des Geschehens, alles ist einsichtig, durchsichtig. Und trotzdem ist der Circus ein Ort voll Mysterien und Magie. Hier werden musikalische Programme gezeigt, die Jung und Alt verzaubern werden.
Der Circus wird über einen längeren Zeitraum in Linz und Umgebung seine Zelte aufschlagen.
Montezuma – Fallender Adler
Musiktheater von Bernhard Lang
Montezuma – Fallender Adler basiert zunächst auf einem Text von Christian Loidl (1957-2001), der in lyrisch aufgelöster Weise die letzen Tage Montezumas beschreibt.
Das projektierte Musiktheaterstück strebt eine Textpolyphonie an, welche die primäre Theaterhandlung mit der Geschichte Syd Barrets, des legendären Gründers von Pink Floyd, überlagert und zu weiteren lyrischen Textkompositionen Loidls rhizomatisch verzweigt.
Realisiert wird dies durch eine Theaterinstallation, die sich in die Architektur des Aufführungsortes Brucknerhaus direkt einfügt und dem sich durch das Stück bewegenden Publikum verschiedene Aktionspunkte des Ensembles präsentiert.
Entgrenzung, Auflösung der (Raum-)Kontur, ekstatische Raumöffnung sind programmatische Komponenten der Inszenierung. Musikalisch erforscht das Stück im Kontext gestischer Loops und der Synchronie von Körper- und Klangbewegung die Differenz- bzw. Wiederholungs-Maschinerie.
Das Stück beinhaltet außerdem die Ebene des sich Erinnerns an den Freund und Anreger Christian Loidl und ist, wenn man so will, eine Hommage an ihn und jene hochenergetische Szene, deren Teil er war.
Fouché (Arbeitstitel)
Ein Oper von Franz Hummel
Textbuch: Sandra Hummel
Joseph Fouché ist das dramatisches Psychogramm der Machtbesessenheit am Beispiel dieser Persönlichkeit des öffentlichen Lebens: Eine Hieronymus Bosch-Parabel über ein Phänomen, das noch immer – allerdings weit weniger kühn und geistreich – durch die Flure der Demokratie geistert.
Napoleons Polizeipräsident, der Mönch und Priesterlehrer, der Jakobiner, Intrigant und intellektuelle Massenmörder, der Erfinder des Überwachungs-Staates flieht – steinreich geworden – gegen Ende seines Lebens mit der halbherzigen Zustimmung Metternichs nach Linz ins Exil. Der feinsinnige, gebildete, gänzlich amoralische Fouché trifft als bemitleidenswerte Kreatur in Linz ein. Im gefängnishofartigen Geviert seiner Villa geht er tagein, tagaus umher und wirft den prüfend ängstlichen Blick immer wieder zu der auf einer fernen Erhöhung stehenden Gestalt hinauf. Ist es Bonaparte? Verfolgt er ihn? Überwacht er ihn?
Angstvisionen und hybride Schübe wechseln sich ab und zeigen die Verlorenheit des machtbesessenen, ewigen zweiten Mannes, der durch sein raffiniert geknüpftes Spinnennetz der Bespitzelung und des Verrats dem Tatmenschen Napoleon gefährlich geworden ist.
Robespierre, Marat, Danton, Ludwig XVIII, Lafayette, Napoleon, Josephine Bonaparte: sie alle treten als Figuren seiner Vergangenheit aus der Anonymität des Chores heraus und peinigen Fouchés Erinnerung.
Fouché, das Synonym für Machtmissbrauch und Korruption bleibt auch noch als treu sorgender Familienvater der Prototyp eines lieblosen und ungeliebten Individuums das vom Zwang getrieben wird, alles über alle wissen zu müssen und schließlich als menschliches Wrack endet.
Instant Anton
Sinfonische Schlager für Fortgeschrittene: die bisher nicht bekannten Urfahrer Fassungen der Brucknerschen Sinfonien kommen endlich zu Recht und Geltung.
Instant Anton bietet das Wesentliche aus Bruckners Klangwelten.
PROJEKTE IN KOOPERATION
(Eine Auswahl)
Projekte der Anton Bruckner Privatuniversität
Kultur „In Szene“
Ein Kulturvermittlungs-Projekt
Studierende der Bruckneruniversität erarbeiten interdisziplinäre Zugänge und Vermittlungsmöglichkeiten von künstlerischen Darbietungen/Performances für unterschiedliche Zielgruppen. Unterstützt werden sie dabei von europäischen Musik- und KunstvermittlerInnen.
2009 finden für alle Altersgruppen sechs Kulturvermittlungsprojekte statt, die auf Basis vorangegangener Workshops geplant wurden.
Vom inszenierten Erzählkonzert für kleine ZuhörerInnen bis zu unmittelbarer Kammermusik (im Wortsinn) in Einrichtungen des Betreuten Wohnens oder zu Film-, Tanz- und Musikkombinationen für ein jugendliches Publikum oder Kompositionsworkshops in Musikschulen sind alle Entwicklungen möglich, um einen direkten und unmittelbaren Kontakt des Publikums zu den Ausführenden zu ermöglichen und Kunst und Kultur auf kreative Weise erfahrbar zu machen.
Projektleitung: Constanze Wimmer
Linz - Vilnius
KomponistInnen und InterpretInnen in der Werkstatt
Studierende und Lehrende erarbeiten Werke von Komponistinnen und Komponisten aus Linz und Vilnius, den beiden Kulturhauptstädten Europas 2009.
Im Vordergrund steht der Werkstattcharakter: in der Begegnung von KomponistInnen und InterpretInnen findet ein intensiver Kulturaustausch statt, der zur nachhaltigen Verbreitung der litauischen und österreichischen zeitgenössischen Musik beiträgt.
Ab 2007 sind Arbeitsphasen von etwa einer Woche in der jeweiligen Stadt geplant, um mit den KomponistInnen vor Ort die Werke mit den Studierenden und Lehrenden einzustudieren.
Die Arbeitsphasen werden mit einem öffentlichen Konzert beendet.
Eine CD-Dokumentation hält die künstlerischen Begegnungen fest – sie wird in beiden Städten präsentiert.
Projektleitung: Norbert Girlinger
Musik, Tanz und Performance im Zeitalter elektronischer Medienkunst
Internationales Symposium
Im Rahmen des Symposiums werden in übergreifender Weise Chancen, Grenzen und Herausforderungen einer Interdependenz von Kunst und elektronischen Medien wie auch Aspekte ihrer medientheoretischen, technologischen, soziologischen, ästhetischen und pädagogischen Implikationen thematisiert.
Darüber hinaus werden spezifische Aspekte elektronischer Medienkunst in den Bereichen Musik, Tanz und Performance erörtert, so unter anderem neue Herausforderungen für die künstlerische Gestaltung von Medienprojekten, die Komposition und Realisierung interaktiver Werke im Kontext von Konzerten und Performances, Soundscape-Projekte, Computer-unterstützter Musikanalyse und Interpretationsforschung, sowie die Entwicklung und Analyse der Anwendungsmöglichkeiten neuer Musik und Medientechnologien für wissenschaftliche, pädagogische sowie künstlerisch-kulturelle Zwecke.
Projektleitung: Peter Revers
Verfemte Musik
Symposium
Das Projekt bietet die Möglichkeit, die Geschichte des Bruckner-Konservatoriums von 1945 bis zur Umwandlung zur Anton Bruckner Privatuniversität und allfällige Verflechtungen bzw. Nachwirkungen nationalsozialistischen Gedankenguts einer objektiven, vorurteilsfreien und kritischen Überprüfung zu unterziehen.
In diesem Sinne sollen Dokumente aus den Beständen des Bruckner-Konservatoriums, aus den Archiven von Stadt und Land sowie aus Privatbesitz herangezogen werden, um die Frage zu klären, in wie weit 1945 für das oberösterreichische Kulturleben Fortführung oder Neubeginn bedeutet.
Schwerpunkte hierbei werden die alliierte Kulturpolitik nach dem „Zusammenbruch“, die Direktoren des Bruckner-Konservatoriums der Nachkriegszeit und die Frage, was Wiedergutmachung bei kulturellen Werten bedeutet, sein.
Das Symposium findet in Partnerschaft mit dem Institut für Zeitgeschichte an der Johannes Kepler Universität Linz statt. Neben Oliver Rathkolb werden Angehörige der Linzer Universitäten referieren und Forschungsergebnisse präsentiert werden, die zuvor von Studierenden in Seminaren erarbeitet wurden.
Projektleitung: Anton Voigt
„Ida and Jim – The Linz Diaries“
Getanzte Jazzkantate
Die Anton Bruckner Privatuniversität gibt ihren ausländischen Studierenden als temporären Stadtbewohnern eine Stimme und verarbeitet künstlerisch, wie sie Linz erleben.
Aus Zusammenschnitten von Interviews mit ausländischen Studierenden über ihre Erfahrungen mit Linz und der fiktiven Liebesgeschichte von Ida und Jim (die Namen stehen für das Institute for Dance Art und Institut für Jazz und Improvisierte Musik) entsteht der Textplot als Grundlage für Musik und Tanz.
Projektbeteiligte: Das Ida – Tanzteam und das Jim – Think Bigger Orchestra plus New Vocal Ensemble: einige Institute des Hauses arbeiten gemeinsam.
Projektleitung: Christoph Cech
Weitere Kooperationen
Es werden zudem laufend Kooperationsgespräche mit Institutionen und Einrichtungen der Linzer Musikszene, wie zum Beispiel Brucknerhaus, Brucknerorchester, Linzer Landestheater, Posthof, … geführt.
Das Team
für den Konzeptionsbereich Musik
Die Konzeption Musik von Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas erarbeitet und verantwortet der Linzer Komponist Peter Androsch.
Team:
Elke Wagner, MSc (Assistenz)
Dr. Peter Leisch (Beratung/Programmierung)
Alois Fischer (Beratung/Programmierung)
Florian Sedmak, MAS (Recherche/Konzeption)
Engelbert Ecker (Recherche/Texte)
Mag. Peter Kuthan (Recherche/Organisation)
Leo Saftic, MAS (Organisation)
Elke Santin (Büroorganisation)