Europäische Öffentlichkeit ist wichtig
Michael Schwarzinger, ehem. österreichischer Botschafter in Litauen
Michael Schwarzinger, ehem. österr. Botschafter in Litauen, sprach bei „Kopfstand 09“ über das Land und die Hauptstadt Vilnius.
Kopfstand 0918. Januar 2007, Galerie Maerz
Fünf Jahre lang war Michael Schwarzinger Botschafter Österreichs in Litauen. Bei der Diskussionsreihe „Kopfstand 09“ in der Galerie Maerz artikulierte er eine zuversichtliche Prognose hinsichtlich der Auswirkungen auf Vilnius als (neben Linz) zweite Kulturhauptstadt Europas 2009. Grund dafür ist sei nicht allein die wechselvolle Geschichte des Landes.
Im Wesentlichen, so Schwarzinger, stärke die Ausrichtung einer Kulturhauptstadt sowohl die nationale als auch die internationale Identität Litauens – auch wenn dieses Faktum noch vielerorts unterschätzt werde. Bedingung der Erreichung dieses Ziels sei allerdings das Erkennen dieser Aufgabe als gesellschaftliche Herausforderung in kultureller, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Und nicht als freundliche Auszeichnung, hinter der man sich gemütlich zurücklehnen könne.
Als Hindernis auf dem Weg zum nötigen Selbstverständnis sieht Schwarzinger die vielen historischen Brüche Litauens, vor allem die häufig wechselnden Besitzansprüche auf das Land im Baltikum. Abgesehen von wenigen Jahren nationaler Eigenständigkeit war Litauen Teil der polnischen Monarchie, des russischen Zarismus, des deutschen Faschismus und des sowjetischen Kommunismus. Überdies wurde der bis dahin starke aufklärerische Einfluss jüdischer Intellektueller auf das geistige Leben Litauens im NS-Holocaust zur Gänze vernichtet. Und da die Autonomie erst seit 1991 bestehe, hätten Historiker enorme Schwierigkeiten bei der wichtigen Geschichtsaufarbeitung – und der überwiegende Teil der Bevölkerung kein gesteigertes Interesse daran.
In der Existenz von zwei städtischen Sinfonieorchestern, einer Universität, einer Musikakademie, diversen Theaterensembles und viel Fantasie im Umgang mit wenig Geld sieht Michael Schwarzinger das „intellektuelle Kapital“ zur Ausrichtung der Kulturhauptstadt Vilnius vorhanden. Woran es fehle, sei allerdings eine europäische Öffentlichkeit, die eine Auffrischung gesellschaftlicher Debatten beschleunige. Bis jetzt zumindest, denn Vilnius sei mit 550.000 Einwohnern die einzige Großstadt weit und breit und als solche prädestiniert für einen geistigen, kreativen und wirtschaftlichen Austausch in einem zusammenwachsenden Europa. Die zu erwartende Aufmerksamkeit für Vilnius und Litauen lohne den Aufwand allemal, schließlich ist für Michael Schwarzinger „Aufmerksamkeit die Währung des 21. Jahrhunderts“.