Linz, meine Lieben
14.11.2006Franzobel schreibt in der aktuellen Ausgabe von "XING – Ein Kulturmagazin" über Linz.
Linz, meine LiebenFranzobel
Linz, meine Lieben, hat etwas Kurioses. Schon dass es einzig ist, unwiederholbar, macht so schnell ihm keiner nach. Linz, meine Lieben, hat etwas Furioses, leicht perverses, weil es so x-beliebig kommt. So krummbeinig. So rundherum daher. Es schmeckt nach Leberkäse, Linzer Schnitten, Buchteln und Extrawurst, nach lauen Lüftchen, Huschhuschhusch, nach Jetzt-will-ich-nicht-alleine-sein. Kalt ist es wie Bier, ausgeraucht, und warm wie Spucke da im Mund. Es grinst, wenn es die Gänsehäute die Rücken runterlaufen sieht, und weint, wenn man ihm ungerührt entgegentritt. Linz, es bringt nichts, nimmt nichts mit, ist einfach da, macht sichs bequem. Linz, meine Lieben, ist etwas Kurioses. Schon dass es einzig ist, unwiederholbar, macht so schnell ihm keiner nach.
Linz ist ein schöner Ort, Bürgerhäuser mit Ziegeldächern, Kirchen, Weinstöcken und Obstgärten. Überall dralle, feiste Industrieanlagen, Baumärkte, Plattenbauten und Chemie. Wo man auch hinkommt in diesem schönen Ort, es geht das Licht an. Ja, es geht das Licht an! Bewegungsmelder, die das provozieren. Um die Diebe zu beleuchten? Den Eigentumsbewerb verkomplizieren?
Ob es auch in den Industrieanlagen Bewegungsmelder gibt? Früher gab es ja die Aufpasser, den Werkschutz, der mit Prügeln, Federschmuck und abenteuerlichen Uniformen verkleidet, einer Hellebarde von Respektsgesicht bewaffnet, dafür sorgte, dass sich am Industriegut keiner verging - und dabei haben sie selbst am meisten zugelangt.
Linz, ehemalige Verbannungsstadt, hier ist der
Hitler groß geworden, Linz sollte Kulturmetropole werden, ist es auch. Linz ist eine schöne Stadt, die reichste Region Europas, die kleinste Großstadt auf der Welt, ein größenwahnsinniges mühlviertler Dorf. Freundlich sind die Leute, offen, redselig, sagen Sätze wie stopp ma o oder des ist laff und doch wird man das Gefühl nicht los, die Linzer sind auch leicht verduckst, haben Probleme mit ihrer Identität. Wo will es auch hin? Nach Wien? Nach München? Salzburg?
Linz? Ein oberösterreichisches Entenhausen? Schon die Sprache hört sich noch vernuschelter und noch verkehlter an wie sonst in Österreich. Die höchste Selbstmordrate herrscht in Linz. In der Statistik wechselt man sich ab mit Südtirol und Luxemburg. Warum? Woran das liegen mag? An der verwickelten, durchwringten, verkomplizierten Geschichte? Vom Bauernnest zur Möchtegernmetropole, vom Stall zum Stahl. Aber ist diese Geschichte denn ein Komplize der Gegenwart? Hat sie sich und alle anderen nicht schon viel zu oft verpfiffen? Wenn in Familien Strukturen auseinander brechen, neigt die dritte Generation danach zur Schizophrenie. In Linz? Reden wir vom Bier, diesem wundersamen Trunk mit dem manche schon um Acht Uhr in der Früh beginnen, vormittags den Seiterln, nachmittags die Halben, das ist a.m. und p.m. auf Linzerisch. Für ein Bier, sagt der Kellner, lasse ich jede Frau stehen. Kommt auf die Frau an, sagt ein Gast. Kommt auf das Bier an, entgegnet ihm der Kellner. Besonders sexuell ist Linz nicht, was vielleicht daran liegt, das immer gleich das Licht angeht? Oder treffen die sich küssen wollen Paare unter defekten Bewegungsmeldern? Irgendwo in der chemischen Industrie? Im Stahl? Das Straßenbild in Linz ist dominiert, nein, domestiziert von radelnden Touristen und auch die wirken in ihrer niemals dreckigen Trekkingkleidung nur mäßig attraktiv. Doch nein, die Linzer Mädchen sind gar wunderhübsch. Man ist weltaufgeschlossen und mondän gestylt – nur mit dem Gang haut es nicht hin. Und kreativ? Macht Linz kreativ? Reden wir vom Bier. Nix gsogt is glubt gnua.
Linz ist ein schöner Ort, und die Linzer ein begnadet Volk, man nennt sie Herrgottskinder. Die Linzer Küche ist berühmt für Knödel und Braten, für Chinesen, Türken, Italiener, Portugiesen und Mac Donalds.
Aber reden wir vom Leberkäse, dieser herrlichsten Versuchung seit es Essen gibt, das Pepi heißt, nein Papi. Ich bin ja auch nur neidisch, dass ich hier nicht leben darf. Denn Linz ist ein schöner Ort. Aber was bedeutet Linz? Dass es etwas mit Frühling zu tun hat, glaube ich nicht, dafür ist das Klima viel zu rau. Ob es vielleicht doch von Linsen kommt? Von Eintopf?
Linz, meine Lieben, hat etwas Kurioses. Schon dass es einzig ist, unwiederholbar, macht so schnell ihm keiner nach. Linz, meine Lieben, hat etwas Furioses, leicht perverses, weil es so x-beliebig kommt. So krummbeinig. So rundherum daher. Es schmeckt nach Leberkäse, Linzer Schnitten, nach lauen Lüftchen, Huschhuschhusch, nach Jetzt-will-ich-nicht-alleine-sein. Kalt ist es wie Leberkäse, ausgeraucht, und warm wie Spucke da im Mund. Es grinst, wenn es die Gänsehäute die Rücken runterlaufen sieht, und weint, wenn man ihm ungerührt entgegentritt. Linz, es bringt nichts, nimmt nichts mit, ist einfach da, macht sichs bequem. Linz, meine Lieben, ist etwas Kurioses. Schon dass es einzig ist, unwiederholbar, macht so schnell ihm keiner nach. Aber reden wir vom Wein.
XING 6/2006, Was Linz schon weiß
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