Chalon dans la Rue
10.08.2006Gemeinsam mit Organisatoren anderer Kulturhauptstädte diskutierte Martin Heller in Chalon-sur-Saône über Kunst im öffentlichen Raum, und dies im Kontext des Straßenkunstfestivals Chalon dans la Rue. Lesen Sie hier über seine Eindrücke.
„Chalon dans la Rue“ feierte dieses Jahr seinen 20. Geburtstag, ist also gleich alt wie das Linzer Pflasterspektakel und findet jeweils am selben Juli-Wochenende statt. Diese Nähe lieferte beim Besuch in Chalon von vornherein genügend Diskussionsstoff. Schließlich geht es nicht nur um einen Erfahrungsaustausch hinsichtlich Organisation, Atmosphäre oder Aspekte der Programmierung, sondern wesentlich um die Zukunft dieser beiden und ähnlicher Festivals.Konkret: Wie lässt sich die Entwicklung des Straßentheaters, in Frankreich stark von Zirkuselementen und einer besonderen Form von theatralischer Poesie geprägt, für Innovationen öffnen?
Erstaunlich war, in welcher Entschiedenheit die Leitung von „Chalon dans la Rue“ nach Anstößen und auch Kritik von außen sucht, um einer deutlich spürbaren Erstarrung und Selbstgenügsamkeit vorzubeugen. Von daher bestand ein großes Interesse an den Absichten von Linz09, die Präsenz von Kunst im öffentlichen Raum ebenso vom Theater wie von den Bildenden Künsten her zu denken und auch bewusst nach neuen Mischformen zu suchen.
Für ihre Jubiläumsausgabe hatten sich die Organisatoren zudem etwas Besonderes einfallen lassen: das European Brunchstorming. An zwei Vormittagen diskutierten internationale Gäste eine Reihe gemeinsamer Fragen, die sich den Kulturhauptstädten Europas stellen. Entsprechend war die Liste der Teilnehmenden zusammengesetzt: von Laurent Dréano, verantwortlich für Lille 2004, über Hugo de Greef, den Intendanten von Brügge 2002, bis hin zu Vertreterinnen und Vertretern aus Luxemburg und Sibiu (2007), Stavanger (2008) oder Istanbul (2010). Ebenfalls an der Diskussion beteiligt waren Theaterschaffende aus französischen Gruppen, die auf Eröffnungsveranstaltungen und generell größere Strassenevents spezialisiert sind (so die Carabosse Company oder die Plasticiens volants).
Interessanterweise verlief der Gedankenaustausch auf zwei deutlich unterschiedlichen Ebenen. Die erste Runde beschäftigte sich primär mit den konkreten Arbeits- und Produktionsbedingungen von Straßentheater und Straßenkunst im weiteren Sinne, während am zweiten Tag über die Rolle der aktuellen und zukünftigen Kulturhauptstädte als Ermöglicher und Auftraggeber debattiert wurde.
Das Resultat dieser zweiten Auseinandersetzung stieß nicht zuletzt bei den anwesenden Vertretern von Städten wie Marseille oder Nizza auf Interesse, die sich als französische Kulturhauptstadt 2013 bewerben möchten. Nämlich: Dass es angesichts einer europaweit eher defensiven, auf Werterhaltung setzenden Kulturpolitik neue Freiräume braucht, die sich Mut und Risikobereitschaft erlauben dürfen. Das Format einer Kulturhauptstadt Europas ist ein solcher Freiraum. Die Städte, die diese Chance erhalten oder sich erstritten haben, sollten deshalb alles daran setzen, ihr großes Projekt als Generator von Ideen und Erfahrungen für den Alltag danach zu benutzen.
Zusammenfassend darf festgehalten werden, dass derartige Treffen dann wertvoll sind, wenn es gelingt, jede Form von Funktionärsfolklore zu vermeiden und die möglichst unmittelbare, auch informelle Vernetzung und professionelle Qualifizierung zu suchen. Das war in Chalon-sur-Saône möglich, und dafür gebührt insbesondere der Initiantin des Brunchstormings, Floriane Gaber, ein großer Dank.
Martin Heller, August 2006