Aus Stefan Zweig „Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen“
S. 90fHart, kalt, intrigant und unmitteilsam in der Öffentlichkeit und Politik, ist dieser sonderbare Mann daheim der rührendste Gatte, der zärtlichste Familienvater. Leidenschaftlich liebt er seine erschreckend hässliche Frau und vor allem jenes kleine Mädchen, das sie ihm in den Tagen des Prokonsulats geboren hat und das er mit eigener Hand auf dem Marktplatz in Nevers „Nièvre“ getauft hat. Dieses kleine, zarte, blasse Kind, sein Liebling, wird plötzlich schwer krank in jenen Thermidortagen, und zu den Sorgen um sein eigenes Leben wächst nun fürchterlich die neue um das seiner Tochter. Grausamste Prüfung: er weiß das schwache, brustkranke, geliebte Wesen sterbend bei seiner Frau und darf, von Robespierre gejagt, … nicht dabei sein, wie sein geliebtes Kind leidet und stirbt.
S. 281
Linz – man lächelt immer in Österreich, wenn jemand diesen Stadtnamen nennt, er reimst sich zu unwillkürlich auf Provinz. Eine kleinbürgerliche Bevölkerung ländlichen Ursprungs, Schiffsarbeiter, Handwerker, meist arme Leute, nur ein paar Häuser altangesessenen österreichischen Landadels. Nicht wie in Prag eine große, ruhmreiche Tradition, keine Oper, keine Bibliothek, kein Theater, keine rauschenden Adelsbälle, keine Festlichkeiten – eine echte und rechte schläfrige, ländliche Provinzstadt, ein Veteranenasyl. Dort siedelt sich der alte Mann mit den beiden jungen, fast gleichaltrigen Frauen an, die eine seine Gattin, die andere seine Tochter. Er mietet ein prächtiges Haus, lässt es vornehm instand setzen, sehr zur Freude der Linzer Lieferanten und Geschäftsleute, die solche Millionäre in ihren Mauern bisher nicht gewohnt waren. Ein paar Familien bemühen sich, mit dem interessanten und dank des Geldes doch irgendwie vornehmen fremden in Verkehr zu treten, der Adel aber zieht sehr merkbar die geborene Gräfin Castellane dem Sohn eines bürgerlichen Pfeffersacks, diesem „Herrn“ Fouché, vor, der erst ein Napoleon (selbst ein Abenteurer in ihren Augen) einen Herzogsmantel um die dürren Schultern gehängt. Die Beamtenschaft wiederum hat geheimen Auftrag von Wien, sich möglichst wenig mit ihm einzulassen; so lebt der früher leidenschaftlich Tätige vollkommen isoliert und beinahe gemieden. Ein Zeitgenosse schildert damals in seinen Memoiren sehr plastisch seine Situation auf einem der öffentlichen Bälle: „Auffallend war, wie die Herzogin gefeiert, aber Fouché selbst vernachlässigt wurde. Er war von mittlerer Größe, stark, aber nicht dick, und hatte ein häßliches Gesicht. Er erschien zu Tanzfestlichkeiten stets im blauen Frack mit Goldknöpfen, weißen Beinkleidern und weißen Strümpfen. Er trug den großen österreichischen Leopoldsorden. Gewöhnlich stand er allein am Ofen und sah dem Tanze zu. Wenn ich diesen früher allmächtigen Minister des französischen Kaiserreichs betrachte, wie er so einsam und verlassen dastand und froh zu sein schien, wenn irgendein Beamter mit ihm ein Gespräch anfing oder ihm eine Schachpartie anbot, so mußte ich unwillkürlich an die Wandelbarkeit aller irdischen Macht und Größe denken.“
Stefan Zweig: „Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen", Fischer Taschenbuch Verlag 1952/2007 (Erstausgabe: 1929, Insel-Verlag)