Die Sprache der Potentaten
Wir haben ihre operettenhaft pathetische Körpersprache längst durchschaut und mit entsetzter Aufmerksamkeit hineingehört in die verletzte Sprachklangwelt der Hitlers, Göbbels’, Stalins, Pinochets und Mussolinis.Das gutturale Staccato ihrer verwüsteten Seelen hätte sie eigentlich schon verraten müssen, bevor ihnen noch ein Quäntchen Macht zugestanden wurde.
Joseph Fouché mag vielleicht unauffälliger, stiller, raffinierter geklungen haben als die von modernen Aufzeichnungstechniken bestens dokumentierten Verbrecher des zwanzigsten Jahrhunderts. Er war ohne Zweifel gebildeter als diese und mit offenbar geschliffenem Feinsinn ausgestattet, doch müssen auch bei ihm verräterische Klang- und Artikulationsspuren auf eine mörderische Gesinnung und emotionale Eiseskälte hingewiesen haben.
Hier setzt mein Libretto an, indem es die narrative Ebene bei der Fouché-Figur bewusst außer Acht lässt.
Ein herrschsüchtiges Primatenmännchen muss strukturieren, will es seine Macht erhalten. Dies geschieht jedoch nie durch Differenzierung, sondern immer durch Standardisierung und verräterische Ausdünnung der Sprache. Schon die leiseste Nebenbemerkung verwandelt eine verborgene Melodik in einen Befehl; und kaum erzittert darin das leiseste Selbstmitleid, schon werfen sich alle zu Boden und küssen dem Ärmsten die Füße.
Die Subalternen sind zwar meistens für solch verborgene Töne nicht musikalisch genug, haben aber merkwürdigerweise einen (verwandtschaftlichen?) sehr feinen Sensus für ihrer Herren Befindlichkeit.
Die Ästhetik meines Fouché-Librettos beruht im Wesentlichen auf solchen Beobachtungen.
Der alte, ins Linzer Exil verschlagene Massenmörder verliert trotz seiner immer wieder aufflammenden Herrschaftsattitüde, die durchaus der napoleonischen mimetisch entlehnt sein mag, im Laufe der Oper mehr und mehr Syntax, Sprachfluss und Sinnzusammenhang. Alles verwürfelt sich nach und nach zu einem Wortfetzen-Zerfallsprodukt. Die perfekte Verdrängung seiner psychischen Verworfenheit „begnadigt“ ihn am Ende durch den alzheimerartigen Verlust sinnstiftender Artikulation.
Fazit: Die Gerechtigkeit ist eine von geschundenen Seelen erfundene Chimäre, welche die Realität uns täglich ins Gesicht spuckt.
Fouchés Nachkommen sollen heute noch steinreich sein.
Sandra Hummel