Fouché – Erfinder des Überwachungsstaates
Napoleons Polizeipräsident, der Mönch und Priesterlehrer, der Jakobiner, Intrigant und intellektuelle Massenmörder, der Erfinder des Überwachungs-Staates flieht, steinreich geworden, gegen Ende seines Lebens mit der halbherzigen Zustimmung Metternichs nach Linz ins Exil. Dort geht er tagein tagaus umher und wirft den prüfend ängstlichen Blick immer wieder zu der auf einer fernen Anhöhe stehenden Gestalt hinauf.Ist es Bonaparte? Verfolgt er ihn? Überwacht er ihn?
Fouchés Sprache verkommt mehr und mehr zu egoman verzerrten Kürzeln. Er durchlebt die Erinnerung an seine Vergangenheit in den grellen Verwerfungen seiner kryptischen Abschaum-Poesie, die nur noch wenige Adern intellektueller Klarheit durchkreuzen.
Angstvisionen und hybride Schübe wechseln sich ab und zeigen die zunehmende Verlorenheit dieses machtbesessenen alten, ewigen zweiten Mannes, der durch sein raffiniert geknüpftes Spinnennetz der Bespitzelung und des Verrats dem Tatmenschen Napoleon gefährlich geworden ist, letztlich aber doch der groben Tücke des Kaisers unterliegt.
Der feinsinnige, gebildete, gänzlich amoralische Fouché trifft als bereits deutlich verwitternder Hochglanzpotentat in Linz ein. So verkörpert er die Nutzlosigkeit jeder Sinnsuche und das Scheitern am „Willen zur Macht“. Sein Selbstverständnis zerbricht zunehmend an den Geistern, die er rief.
Wenn seine Vergangenheit im Verlaufe der Handlung in Gestalt früherer Weggefährten aus dem Chor hervortritt und ihm die quälende Realität seiner Lebensgeschichte Stück um Stück vor das geistige Auge zerrt, reflektiert er erstmals fahrig – unfähig, sich noch sachgerecht zu artikulieren –
Politik, Menschheit, Liebe, Verbrechen, Schuld und Sühne und wird zum Verräter seiner selbst, der an der Unio mystica Täter-Opfer zugrunde gehen muss; obwohl er gegen Ende seines Linzaufenthalts, einem fatalen Automatismus gehorchend, immer noch letzte Absolution in Triest zu finden hofft.
Fouché, das Synonym für Machtmissbrauch und Korruption bleibt selbst in der Rolle des treu sorgenden Familienvaters Prototyp für die Verworfenheit des lieblosen, ungeliebten Individuums; jahrzehntelang auf der Hut, getrieben vom ständig pulsierenden Zwang, alles über alle wissen zu müssen, um es zur richtigen Zeit zum eigenen Vorteil zusammenzufügen. Schließlich endet er als menschliches Wrack, dessen psychologische Ursachen und Folgen unsere Oper thematisieren will.
Die schwer auf ihm lastende Vergangenheit zwängt Fouché nun selbst in die Ausweglosigkeit seiner vormals gegen andere erlassenen Dekrete und nimmt ihm, im Alter schwer lungenkrank, förmlich den Atem.
Keiner seiner Freunde, der nicht irgendwann zum Feind geworden wäre, niemand, dem er vertrauen oder mit dem er jemals einen ehrlichen Gedanken hätte teilen können.
Napoleon, Robespierre, Joséphine Bonaparte etc. tauchen in seinen Tagträumen wieder auf und peinigen die Erinnerung. Nichts erlangte jemals größere Bedeutung für diesen begnadeten Verbrecher als er selbst, Intrigant, Königsmörder, Mitrailleur de Lyon (Schlächter aus Lyon), Priester, mörderischer Apostat und geheimnisumwitterter Gast der Stadt Linz.
Unsere Oper ist ein Psychogramm der Machtbesessenheit am Beispiel dieser ideal dafür geeigneten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens; eine Hieronymus Bosch-Parabel über ein Phänomen, das heute noch immer, allerdings weit weniger kühn und geistreich, durch die Flure der Demokratie geistert und mit der Chimäre Political Correctness seinen Veitstanz vollführt.
Franz Hummel