Blutsonntag von Vilnius – Damals und Heute, 30. 1. 2007
Staatspräsident Valdas Adamkus, Premierminister Gediminas Kirkilas und der Vilniussser Bürgermeister Artûras Zuokas bei der Blumenniederlegung am 13. Jänner 2007
Copyright: Dzoja Barysaite
Knapp nach Mitternacht war es damals zur offenen militärischen Aggression mit dem Einsatz sowjetischer bewaffneter Einheiten und Panzer gegen Tausende von unbewaffneten Menschen gekommen, die den Vilniusser Fernsehturm mit ihren Körpern schützen wollten. „Als wir Schüsse gehört haben, war für mich und meinen Mann klar, dass wir etwas tun mussten. Wir sind mit Freunden zum TV-Turm gegangen. Dort haben wir gesungen. Plötzlich wurden neben uns durch den Luftdruck eines Panzergeschützes einige Frauen zu Boden geschleudert. Und die Panzer fuhren einfach weiter, über die Beine der Frauen“, erinnert sich die heute 37jährige Jûratë. Zwei Frauen haben überlebt, Loreta Asanavièiûtë ist wenige Stunden später im Krankenhaus gestorben – 23 Jahre jung. 13 Menschen, die meisten um die 20 Jahre, haben am TV-Turm ihren Einsatz für die Verteidigung der Freiheit ein Jahr nach der litauischen Unabhängigkeitserklärung (11. März 1990) mit dem Leben bezahlt. Rund tausend Menschen haben zum Teil schwere Verletzungen erlitten. Kreuze am Fuße des Fernsehturms mit der Adresse 13. Jänner-Straße 10 (Televizijos bokštas, Sausio 13-osios gatvë 10) sowie die Benennung von Straßen in der Umgebung nach den Namen der Todesopfer sind Zeugnis nicht einmal noch zwei Jahrzehnte zurückliegender Zeitgeschichte. Eine Fotoausstellung im Erdgeschoss dokumentiert eindrucksvoll die Schrecknisse der Nacht. Das Bild mit den blutigen Frauenbeinen unter dem Panzer ging damals um die Welt. Zu sehen ist auch der sowjetische Angriffsplan auf den Fernsehturm, von dem sowjetisches Militär erst nach 222 Tagen Besatzung, am 22. August 1991, wieder abgezogen ist.
„Wir mussten unsere Unabhängigkeit verteidigen, dass war doch selbstverständlich.“
„Wir waren doch im Recht, warum sollten wir weglaufen? Das hatte nichts mit Mut zu tun.“
„Wir haben gegen den Kommunismus gekämpft, nicht gegen die russischen Brüder.“ Wie Sofija, Vaclovas und Angelë haben die meisten Litauer gedacht.
Nachdem am 11. Jänner 1991 sowjetisches Militär mit Gewalt das Pressehaus eingenommen hatte, bewachten und schützten Tausende Zivilisten ohne Waffen Tag und Nacht strategisch wichtige Gebäude, sangen litauische Lieder und skandierten unermüdlich „Lietuva“ (Litauen). Selbst als russische Soldaten über ihre Köpfe hinweg schossen und Splitter zahlreiche Menschen verletzten, verstummten sie nicht. Viele brachten den Ausharrenden Tee und Essbares. Unmittelbar nach der Gewalt am Fernsehturm hielten zwei Galionsfiguren des litauischen Unabhängigkeitskampfes, Monsignore Kazimieras Vasiliauskas und Pfarrer Robertas Grigas, inmitten der Menschenmenge vor dem Parlament an einem einfachen Tischchen als Altar einen Gottesdienst und riefen die Menschen auf „zum Gebet auch für die, die uns nicht wohl gesonnen sind“.
Auch wenn finanzielle Kompensation psychische und physische Wunden nicht heilen kann, hat der Seimas (litauisches Parlament) am 16. Jänner dieses Jahres die Resolution des Vorsitzenden des Komitees für auswärtige Angelegenheiten Justinas Karosas angenommen. Sie fordert von Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion den Beginn von Verhandlungen mit Litauen über Entschädigungszahlungen für die Schäden der Okkupation. Basierend auf dem im Juni 2000 beschlossenen Kompensations-Gesetz brachte Litauen diese Frage bereits 2001 in der Litauisch-russischen zwischenstaatlichen Kommission zur Sprache. Doch zeigte Russland bislang keine Verhandlungsbereitschaft. Die Forderungen belaufen sich auf 80 Milliarden Litas (23 Mrd. Euro).
Übrigens: Seit Jahresbeginn formiert sich ein Mitarbeiter-Team um Vilnius 2009-Intendantin Giedrė Kabašinskienė, das ebenso im Februar der Öffentlichkeit vorgestellt wird wie das brandneue Programmkonzept „Vilnius – Europäische Kulturhauptstadt 2009“. Die Präsentation der nun 57 ausgewählten Projekte erfolgt Anfang März.